„El Cachudo“, ein Überlebenskünstler

"El Cachudo", Edmundo Rengel
Edmundo Rengel ist ein sehr erfolgreicher Gabelstapler-Unternehmer in El Alto, dessen Leben immer von der Armut bedroht wurde. Seine Geschichte ist aber von Musik und von einer ungewöhnlichen Fähigkeit zu überleben geprägt. Auch wenn sein Schicksal schwarz wie die Nacht aussah, hat er nie aufgegeben.

Als der kleine Edmundo sechs Jahre alt war, sah er einmal seine Mutter in der Küche weinen. Sie kochte und dabei weinte und sang sie.
„Mama, warum weinst du?“, fragte er sie.
„Weil ich deinen Vater nicht mehr liebe“, antwortete sie.
Meine Mutter sang an diesem Tag voller Gefühl und Traurigkeit, erinnert sich Edmundo und er denkt, dass er von ihr die Leidenschaft für die Musik geerbt hat. „Meine Mutter hat immer gesungen und sie machte das gut. In ihrer Verbitterung sang sie peruanische Walzer, jedes Mal voller Gefühl“, erinnert er.

Edmundo Rengel Mejía ist am 16. November 1966 in La Paz geboren. „Ich bin ein 'Chukuta' vom Herzen“ sagt er lächelnd dazu. Dieses Jahr wird er 50 Jahre alt und seit 10 Jahren ist er ein erfolgreicher Gabelstapler-Unternehmer und bekannter Liedermacher und Musiker in El Alto.

Als Kind musste er öfters alleine mit seinem jüngeren Bruder zu Hause bleiben, da seine Eltern arbeiten gingen. Sein Vater war sehr streng, Edmundo fürchtete sich vor ihm. Einmal ist ein Messer zu Hause verloren gegangen und sein Vater forderte ihn auf, das Messer wieder erscheinen zu lassen. Der kleine Edmundo floh vor Angst von zu Hause, er ging alleine zu einer Tante auf der anderen Seite der Stadt. Er blieb da ein paar Tage, bis sein Vater sich wieder beruhigte.

„Wir waren arm“, erzählt er. Seine Mutter kriegte mal ein paar rote Mädchenschuhe, die Edmundo tragen musste, weil er keine anderen Schuhe hatte. „Wenn ich Brot kaufen musste, zog ich die Schuhe vor der Haustür aus und ging barfuß zur Bäckerei“, sagt er und lacht.

In seiner Freizeit spielte Edmundo mit kleinen Spielautos, die man mit Plastikbändern und Flaschendeckeln aus Metall baute und mit Murmeln. „Damals war mein Schicksal noch nicht bestimmt“, behauptet er.  

Als sein Vater eine bessere Beschäftigung in El Alto fand, zog die ganze Familie von La Paz nach El Alto um. Dort öffnete Edmundos Vater sein eigenes Karrosseriengeschäft und Edmundo lernte da nicht nur wie man Autos reparieren konnte, sondern auch zu verschweißen und Wagen zu malen. “Mein Vater war aber sehr unverantwortlich. Er hat nie an die Zukunft seiner Kinder gedacht, er ging lieber in die Bars und mit Freunden und gab so das ganze Geld aus“, meint Edmundo, der öfters seinen betrunkenen Vater von verschiedenen Lokalen abholen musste. Seine Mutter dagegen, hatte in El Alto einen kleinen Imbissstand. „Sie war immer fleißig und aktiv“, erinnert Edmundo.  
Gabelstapler-Firma, "La Muralla"
Nach seinem Schulabschluss konnte Edmundo endlich Musik machen. Er lernte selbst Gitarre, Charango und andere Musikinstrumente spielen. „Als elfjähriges Kind bekam ich mal von meiner Mutter eine kleine Zampoña (Panflöte) und eine kleine Quena (eine Art Flöte), die sie mal im Alasitas-Markt kaufte. 

Seine erste Musikgruppe hieß „Integración Andina“, sie spielt vor allem bolivianische Folklore Musik. Danach gründete er seine zweite Musikgruppe namens „La Muralla“, mit der er Cumbia-Musik auf verschiedenen Festen und Feiern spielte. Aber die Musik war nicht genug, um überleben zu können und Edmundo wusste das genau, deshalb fing er an, eine Arbeit zu suchen. Seine erste Beschäftigung war am Lenkrad eines Minibuses. Bei diesem Job lernte er auch Gewerkschaftsführer zu sein. Danach arbeitete er als Fahrer in der größten Brauerei Boliviens (Cervecería Boliviana Nacional). Wenn er da mal nichts zu tun hatte, lernte er einen Gabelstapler zu fahren. „Ich habe immer alles gefragt und war immer sehr neugierig. Und da, bei diesem Gabelstapler in der Brauerei hat mein Unternehmer-Schicksal angefangen“, sagt er. Als er dann entlassen wurde, kaufte er mit seiner Abwicklung ein gebrauchtes Auto und arbeitete als Taxifahrer.

1996 war er schon verheiratet und hatte 3 Kinder. Er wollte doch ein besseres Leben für seine eigene Familie schaffen und aus diesem Grund probierte er alle Beschäftigungen, die auf seinem Weg gestellt wurden: Schlosser, Schweißer, Verkäufer, Automechaniker, usw. Aber die Armut bedrohte immer sein Leben. „Einmal hatte ich kein Geld mehr und mit meinem Cousin habe ich einen herrenlosen Hund von der Straße geholt, es war ein Mischling, den wir gebadet und gepflegt haben und letztendlich verkauft haben“, erzählt er lachend. Ein anderes Mal sammelte er alle Metallreste, die er noch von anderen Arbeiten hatte und verkaufte sie in El Alto. „Ich habe dafür 60 Bolivianos bekommen und konnte damit Brot für meine Frau und meine Kinder kaufen“, erzählt er.

Seine jetzige Musikgruppe, "Integración Bolivia"
An einem Tag konnte er mit Hilfe seines Vaters einen gebrauchten Gabelstapler kaufen. Edmundo reparierte und malte die Maschine. „Ich konnte das alles selber machen, sogar den Gabelstapler fahren und bedienen, weil ich das gelernt hatte“, kommentiert er. Da begann sein Glück sich zu ändern. Für die ersten zwei Stunden Arbeit mit dem Gabelstapler verdiente er 600 Bolivianos. Er konnte es kaum glauben und entschloss seitdem nur mit dem Gabelstapler zu arbeiten. Da sein Geschäft immer besser und besser lief, kehrte er zu seiner Musikgruppe „La Muralla“ zurück. Er sang und spielte Musik jedes Wochenende und fing langsam an, seinen Gabelstapler zu vernachlässigen. „Ich erinnerte mich an meinen Papa und dachte über meine Verantwortung und mein Geschäft nach. Ich wollte doch das Leben meiner Familie verbessern und nicht wie mein Vater werden“ gesteht er. So musste er sich wieder von der Musik entfernen.

„Als ich vierzig Jahre alt wurde, hat Gott zu mir gesagt, du hast bis jetzt genug gelitten, jetzt bekommst du diesen Gabelstapler und kannst endlich dein Schicksal selber bestimmen. Gott segnete mich“, erzählt er und heutzutage ist Edmundo Rengel der stolze Besitzer von der Gabelstapler-Firma namens „La Muralla“ (genauso wie seine zweite Musikgruppe), Chef von vielen Mitarbeiter, Helfern und Sekretärinnen und außerdem hat er eine neue Folklor-Musikgruppe gebildet. „Ich liebe die Musik, die fließt mir im Blut, deswegen habe ich die Gruppe „Integración Bolivia“ gegründet. Ich verdiene kein Geld damit, aber ich kann da meine Leidenschaft erleben, Musik spielen und meine eigenen Kompositionen bekannt machen. Das macht mich unendlich froh“, betont er.

Edmundos Künstlername ist „El Cachudo“ (Mann mit Hörnern), so heißt auch eines seiner besten Hits, den er mit „Integración Bolivia“ produziert und sogar als Musikvideo gefilmt hat. „Mein guter Freund, der Liedermacher Victor Sarmiento von der Gruppe „Sangre Minera“ schrieb eine schöne Melodie aus Tarija für die Gruppe. Es ging um eine untreue Frau und eine unglückliche Liebe. Da ich das Lied singe, habe ich auch diesen Namen bekommen, es gibt keinen anderen Grund“, kommentiert er lustig.
Die Familie

„Gott hat mich mein ganzes Leben auf mein Schicksal vorbereitet und ich habe jede Möglichkeit ausgenutzt, um mein Leid zu vertreiben. Jetzt kann ich sagen, dass ich die Zukunft meiner vier Kinder gesichert habe, aber ich will ihnen nicht alles geben. Sie sollten doch selber wertschätzen, was Arbeit, Anstrengung und Bemühung im Leben bedeuten“, so endet er das Interview. Es war ein erstaunliches Gespräch mit einem Mann, der nie aufgehört hat, zu lernen und zu lächeln. 

(Artículo publicado en Monatsblatt, publicación del Centro Cultural Alemán / No. 4 - 2016)  


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